… und einen guten Jahreswechsel wünsche ich allen Schüler*innen, Kolleg*innen, Eltern und allen, die sich der Realschule verbunden fühlen.
Dieses Jahr feiern wir besondere Weihnachten. In diesem Jahr
müssen auch die weihnachtlichen Kontakte reduziert werden, damit die
Coronainfektionen wieder abnehmen und die Inzidenzwerte wieder auf ein
erträgliches Maß sinken. Und es gibt Licht am Ende des Tunnels: der erste
Impfstoff ist zugelassen und die Impfungen starten in Kürze. Ich werde mich
jedenfalls impfen lassen, wenn ich laut Impfplanung an der Reihe bin.
Weihnachten war immer das Fest der Besinnlichkeit und sollte
es in diesem Jahr ganz besonders sein. In unserem von Arbeit und Konsum
geprägten Alltag ist eine solche Zeit der Einkehr besonders nötig. Und in
diesem von der Coronapandemie bestimmten Jahr sollten wir nochmal mehr „zur
Besinnung kommen“: Was macht unser Leben aus? Was zählt wirklich?
Ist wirklich das Top-Smartphone oder die schicke Winterjacke
das, was uns glücklich macht? Konsum ist eine Sucht: sobald ich das erwünschte
Produkt besitze, verliert es exponentiell an Bedeutung und das nächste Produkt
steigt auf meiner Wunschliste, bis ich auch dieses besitze. Demjenigen, der begütert
ist, fallen Gedanken des Verzichts sicher leichter, als demjenigen, der sich nicht
alles leisten kann. Aber wir alle müssen uns fragen, welche materiellen Dinge
wirklich nötig sind und welche wir nur haben wollen, weil der andere sie hat,
weil sie in Mode sind.
Nicht viel anders verhält es sich mit der Karriere: habe ich
den ersten Schritt auf der Karriereleiter getan, gerät das Erreichte schon bald
ins Hintertreffen und der Blick wird auf das nächste Karriereziel gerichtet.
Ich denke in diesen Tag viel über Hamsterräder nach, in
denen wir alle unbewusst stecken, nicht erkennend, dass wir uns nur im Kreise
drehen. Nutzen wir die Weihnachtszeit, die dieses Jahr aus beschriebenen
Gründen sehr viel stiller ausfallen muss, um uns klar zu werden, was wirklich
zählt!
Das Christentum (wie viele andere Religionen auch) benennt
zwei Tugenden zuerst: (Nächsten-) Liebe und Gerechtigkeit!
Die Liebe zu mir selbst ist auch nötig, das Sich-selbst-annehmen-können. Aber Christen meinen damit nicht die überzogene Selbstliebe, nicht den Egoismus, der ja oft in Konsum- oder Karrierewahn ausartet.
Erfüllend ist die Nächstenliebe, dem anderen in Wohlwollen und mit Unterstützung zu begegnen. Aus eigener Erfahrung muss ich leider bestätigen, dass die Nächstenliebe nicht immer uneigennützig ist: wenn ich mich bemühe, guten Unterricht zu machen, um euch, lieben Schüler*innen, etwas Wichtiges für euer Leben mitzugeben, dann erwarte ich, dass ihr das würdigt. Dann will ich dafür von euch wertgeschätzt werden. Ärzt*innen und Pfleger*innen brauchen die Anerkennung (auch die finanzielle) der Gesellschaft für ihren bis an die Grenzen gehenden Einsatz in der jetzigen Pandemie. So ist der Mensch, selbst Nächstenliebe geht häufig mit Eigennutz einher.
Der eine oder die andere wird aber in der Liebe zu einem
anderen Menschen die Erfahrung gemacht haben, wie schön bedingungslose Liebe
ist. Leider geht dieser Zustand, in dem man den anderen, komme was da wolle,
liebt, diese romantische Liebe auch irgendwann vorüber. Diese Liebe ist für das
Gegenüber, aber besonders für den Liebenden eine große Verheißung. Und folgt
man den großen Philosophen und Lehrern der Menschheitsgeschichte, dann ist es
die einzige Liebe, die wirklich erfüllend ist: wenn ich den Eigennutz in meiner
Liebe reduzieren kann, dann tue ich mir selbst den größten Dienst. Und nur
dadurch wird die Welt zu einem besseren Ort.
Gerechtigkeit hingegen schaut gerade auf den Ausgleich zwischen meinen Interessen und denen der anderen, der Gesellschaft. Wenn man so will, ist sie das Gegenteil der selbstlosen Liebe. Achte ich auf Gerechtigkeit, dann fordere ich vom anderen, aber ebenso von mir, dass wir uns in ähnlicher Weise engagieren oder Gleiches geben, aber auch Gleiches bekommen. Gerechtigkeit, so könnte man sagen, ist von dieser Welt, bedingungslose Liebe eher göttlich.
Es steckt tief in uns Menschen, dass wir nicht gerne den Kürzeren ziehen, lieber noch wollen wir besser dastehen. Die Evolution hat uns mit dieser Eigenschaft, mit unserem Ego ausgestattet und so haben wir die Weltherrschaft antreten können. Die Evolution hat uns aber auch die Fähigkeit zur Kooperation, zum Miteinander mitgegeben. Ohne diese zweite Eigenschaft wäre die Weltherrschaft der Menschheit ebenso undenkbar, denn wir hätten den Säbelzahntiger alleine niemals besiegen können.
Kam es in früheren Zeiten auf die Kooperation von Einzelnen
im Rahmen der Familie oder Sippe, später im Rahmen der Nation an, so kommt es
in einer „vollen Welt“ (siehe Club of Rome) auf weltweite, Grenzen überschreitende
Kooperation an. Wie wir an der Klimakrise sehen, nutzen uns heute Egoismen oder
Nationalismen nichts mehr. Schaffen wir es nicht, weltweit zu kooperieren, dann
werden wir die Menschheitsprobleme des 21sten Jahrhunderts nicht lösen können
und, bitte verzeihen Sie / verzeiht mir die Schwarzmalerei, als Menschheit
untergehen.
Genau solches Vorgehen ist auch in der aktuellen Pandemie
gefragt: wir können nicht nur an uns selber denken, die Jungen nicht nur an Party,
die Alten und Geschwächten nicht nur an Vereinsamung, Krankheit und Tod, die
Liberalen nicht nur ans Geschäft, wir alle nicht nur an unsere persönliche
Freiheit. Gerechten Ausgleich zwischen all den berechtigten Interessen finden
wir nur, wenn wir lernen, einen Schritt zurück zu treten, damit wir den Blick
auf das Ganze bekommen. Nur das führt zu wirklich guten Entscheidungen, für die
Welt und für uns persönlich.
In diesem Sinne wünsche ich euch und Ihnen besinnliche
Weihnachten und viel Erfolg im neuen Jahr.
Claus Peter Wirth / Schulleitung